Dieser Beitrag gehört zur Artikelserie Richtlinien für barrierefreie Webinhalte WCAG 2.0. Er soll die Erfolgskriterien, Bedeutung und Umsetzung der Richtlinie 2.2 Ausreichend Zeit darstellen sowie Website Beispiele aufzeigen.
„Geben Sie den Benutzern ausreichend Zeit, Inhalte zu lesen und zu benutzen.“
Erfolgskriterien der Richtlinie 2.2
- 2.2.1 Zeiteinteilung anpassbar: Für jede zeitliche Begrenzung, die vom Inhalt festgelegt wird, gilt mindestens eines der Folgenden: (Stufe A)
- Abschalten: Der Benutzer kann die zeitliche Begrenzung abschalten, bevor er darauf trifft oder
- Anpassen: Der Benutzer darf die zeitliche Begrenzung anpassen, bevor er darauf trifft, und zwar so weitreichend, dass es sich um die mindestens zehnfache Zeit der Standardeinstellung handelt oder
- Ausweiten: Der Benutzer wird gewarnt, bevor die Zeit abläuft und bekommt mindestens 20 Sekunden Zeit, um die zeitliche Begrenzung mit einer einfachen Handlung auszuweiten (zum Beispiel: „Drücken Sie die Leertaste“) und der Benutzer darf die zeitliche Begrenzung mindestens 10 mal ausweiten oder
- Echtzeit-Ausnahme: Die zeitliche Begrenzung ist ein erforderlicher Bestandteil eines Echtzeit-Ereignisses (zum Beispiel einer Auktion) und es gibt keine Alternative zur zeitlichen Begrenzung oder
- Unentbehrliche Ausnahme: Die zeitliche Begrenzung ist unentbehrlich und eine Ausweitung dieser würde die Handlung ungültig machen oder
- 20 Stunden-Ausnahme: Die zeitliche Begrenzung beträgt mehr als 20 Stunden.
- 2.2.2 Pausieren, beenden, ausblenden: Für sich bewegende, blinkende, scrollende oder sich automatisch aktualisierende Informationen gelten alle folgenden Punkte: (Stufe A)
- Sich bewegend, blinkend, scrollend: Für alle sich bewegenden, blinkenden oder scrollenden Informationen, die (1) automatisch beginnen, (2) länger als 5 Sekunden dauern und (3) parallel zu anderen Inhalten dargestellt werden, gibt es einen Mechanismus für den Benutzer, um diese zu pausieren, zu beenden oder auszublenden außer die Bewegung, das Blinken oder das Scrollen ist Teil einer Handlung, bei der es unentbehrlich ist und
- Automatische Aktualisierung: Für alle sich automatisch aktualisierenden Informationen, die (1) automatisch beginnen und (2) parallel mit anderen Inhalten dargestellt werden, gibt es einen Mechanismus, damit der Benutzer die Aktualisierung pausieren, beenden oder ausblenden oder die Häufigkeit der Aktualisierung kontrollieren kann, außer die automatische Aktualisierung ist Teil einer Handlung, bei der sie unentbehrlich ist.
Bedeutung der Richtlinie
Viele Benutzer sind körperlich oder geistig eingeschränkt und brauchen mehr Zeit als andere Nutzer, um die Inhalte einer Website zu lesen oder sich auf dieser zurecht zu finden.
Deshalb schreibt die Richtlinie 2.2 vor, den Benutzern ausreichend Zeit zu lassen, Inhalte zu lesen und zu benutzen. Dies betrifft nicht nur Behinderte, die beispielsweise physisch länger brauchen um zu reagieren, sondern auch ältere Nutzer, die nicht mehr so gut sehen können oder generell länger brauchen, um Inhalte zu lesen und zu verstehen. Ebenso brauchen Blinde beispielsweise assistierende Techniken (Screenreader), wodurch es deutlich länger Zeit in Anspruch nimmt, alle Inhalte einer Website auszulesen und zu verstehen.
Web-Funktionen, wie z. B. Buchungen oder Einkäufe, sollten nicht zeitabhängig sind, da es sonst für einige Benutzer schwierig ist, die Aktion in einem bestimmten Zeitintervall auszuführen.
Außerdem sollen bewegene, blinkende, scrollende oder sich automatisch altualisierende Informationen durch den Benutzer pausiert, beendet oder ausgeblendet werden können. Dies soll vermeiden, dass Benutzer abgelenkt werden. Nicht nur für Nutzer, denen das lesen am Bildschirm schwer fällt oder die Schwierigkeiten bei bewegenden Objekten haben, sondern auch für Screenreader können sich bewegende Inhalte zu Problemen führen.
Umsetzung der Richtlinie
Zeitliche Begrenzungen sind sinnvoll, wenn der Benutzer z. B. auf einer client-Seite eingeloggt ist und die zeitliche Begrenzung aus Sicherheitsgründen eingerichtet wird. Entfernt sich der Nutzer beispielsweise vom Rechner, wird der Nutzer nach einiger Zeit gefragt, ob er mehr Zeit benötigt. Wenn es keine Reaktion darauf gibt, dann wird der Vorgang wegen Zeitüberschreitung beendet.
Um zu verhindern, dass ein Nutzer mit Behinderung ein Formular oder eine andere Tätigkeit im Internet vollständig zu Ende bringen kann, ohne durch eine zeitliche Begrenzung eingeschränkt zu werden, bietet es sich an, eine Checkbox bereitzustellen. Diese Checkbox sollte es dem Benutzer ermöglichen, einen bestimmten zusätzlichen Zeitraum für die Ausführung seiner Aktion zu erhalten. Wenn der Benutzer z. B. ein Formular ausfüllt, könnte auf der Website ein Kontrollkästchen mit der Beschriftung „15 Minuten zusätzlich zum Ausfüllen jedes Teils des Formulars“ bereitgestellt werden, wodurch der Benutzer zusätzliche Zeit zum Ausfüllen bekommt.
Eine andere Möglichkeit soll dem Nutzer mit der kompletten Abschaltung der zeitlichen Begrenzung gegeben werden. Zudem kann auch ein Skript bereitgestellt werden, dass den Benutzer warnt, dass eine zeitliche Begrenzung bald abläuft und die Mitteilung geben, dass es die Möglicheit gibt, diese zu verlängern.
Ebenso sollten sich bewegende Bilder, Videos oder Animationen beendet, ausgeschaltet und pausiert werden können. Vor allem für Benutzer mit geringer Lese- und Schreibfähigkeit, intellektuellen Behinderungen und Menschen mit Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom kann blinkender Inhalt die Interaktion auf Websites erschweren. Bei einigen Nutzer können blinkende und blitzende Inhalte sogar zu Anfällen führen. Deshalb sollte der Inhalt nach 5 Sekunden aufhören zu blinken oder der Nutzer muss die Möglichkeit haben, das Blinken zu beenden.
Beispiele zur Richtlinie
Als Beipspiel für Websiten mit einer zeitlichen Begrenzung können Websites genannt werden, auf denen Online Eintrittskarten gekauft werden können. Auf diesen Seiten gibt es häufig eine zeitliche Begrenzung, um den Kaufprozess zu erledigen. Dies hängt damit zusammen, dass der Veranstalter nach einer gewissen Zeit die Karten wieder dem Kontingent zuführt, um anderen Nutzern die Möglichkeit des Erwerbs der Karten zu geben, da diese häufig schnell ausverkauft sind. Da einige Nutzer aber eingeschränkt sind, den Kaufprozess in einer bestimmten Zeit zu erledigen, sollte dem Nutzer die Möglichkeit gegeben werden, nach mehr Zeit zu bitten oder es sollte dem Nutzer erlaubt werden notwendige Informationen wie Name, Zahlungsweise usw. einzugeben, bevor die zeitkritische Phase beginnt. Erst der Klick zur Bestätigung des Kaufs kann einer zeitlichen Begrenzung unterliegen, diese sollte allerdings auf mindestens 2 Minuten angesetzt werden.
Ein Beispiel eines Kaufprozesses mit einer zeitlichen Begrenzung ist im folgenden Bild zu sehen. Hier hat der Benutzer insgesamt 13 Minuten Zeit, den Warenkorb zu besätigen, die Kontakt und Anschriftsdaten einzugeben, die Zahlungsart auszufüllen, den Kauf zu prüfen und anschließend zu bestätigen. Für Menschen mit Behinderungen oder Einschränkungen eine Website nicht so schnell bedienen zu können, gibt es keine Möglichkeit diesen Prozess zu verlängern.
Nach 13 Minuten erhält der Benutzer eine Mitteilung, dass die Reservierungszeit für die Tickets abgelaufen ist und dass die Tickets erneut ausgewählt werden müssen und der Kaufprozess erneut angestoßen werden muss.
Gerade auf Buchungsseiten ist die Möglichkeit der zeitlichen Anpassung für den Benutzer unbedingt erforderlich. Hiervon profitieren auch Besucher, die z. B. durch ein Telefonat abgelenkt waren, von der Verlängerung der zeitlichen Begrenzung. Die erneute Suche nach dem gewünschten Produkt und Eingabe der persönlichen Daten ist sehr umständlich und schnell kann zu Kaufabbrüchen führen. Die Erfüllung der Richtlinie 2.2 Ausreichend Zeit kann daher sowohl für Websitebesucher als auch für Websitebetreiber sehr von Vorteil sein.
Die Inhalte und Erfolgskriterien der Richtlinie 2.2 Ausreichend Zeit sind in der deutschen Übersetzung nachzulesen unter www.w3.org.
Der nächste Artikel beschäftigt sich mit der WCAG 2.0 Richtlinie 2.3 Anfälle.