In der Artikelreihe “Campixx Recap” berichten TRG-Mitarbeiter über ihre Eindrücke, Erlebnisse, Workshops und Lehren der SEO-Campixx 2011.
Zusammen mit meiner TRG-Kollegin Susanne Warlich habe ich auf der SEO Campixx 2011 einen Workshop über barrierefreies Webdesign gehalten. Im Vorfeld dazu haben wir mit Herrn Jan E. Hellbusch und Frau Kerstin Probiesch ein Interview zum Thema Barrierefreies Webdesign geführt. In diesem wurde klar, wie wichtig und sinnvoll es ist, das Internet für jeden zugänglich zu machen. Für alle, die aufgrund der 12 gleichzeitig abgehaltenen Sessions unseren Workshop verpasst haben, möchten wir hier noch mal eine kleine Zusammenfassung geben.
Barrierefreies Webdesign häufig noch kein Thema
Der Grundsatz der Barrierefreiheit ist, jede Website für jeden Nutzer zugänglich, lesbar und benutzbar zu gestalten. Betrachtet man aktuelle Internetangebote nach diesen Grundsätzen, zeigt sich, dass die beteiligten Entscheider, Entwickler oder Redakteure kaum Maßnahmen der Barrierefreiheit ergreifen. Grund dafür sind häufig Vorurteile wie zum Beispiel, dass barrierefreie Wepseiten ein weniger ansprechendes Layout haben und dadurch weniger Nutzer ansprechen. Dies stimmt jedoch nicht. Ganz im Gegenteil: Die Gestaltung einer barrierefreien Website bringt verschiedene Vorteile mit sich von der unterschiedliche Nutzergruppen profitieren. Dadurch kann insgesamt die Reichweite gesteigert werden.
Zu der bekanntesten Zielgruppe von barrierefreien Websites zählen behinderte Menschen. Laut einer Studie der Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, sind rund 8 Millionen Menschen in Deutschland behindert, von denen 80% das Internet regelmäßig nutzen. Eine Zielgruppe von über 6 Millionen Menschen also. Dazu gehören sehbehinderte, blinde, taube, stumme, hörgeschädigte und lernbehinderte Menschen sowie körperlich eingeschränkten Menschen. Eine weitere wachsende Zielgruppe sind Migranten, die auf Sprachbarrieren stoßen.
Den insgesamt größten Teil stellen die Internetnutzer über 50 Jahren – die Silver Surfer dar. Im Alter verschlechtern sich beispielsweise das Sehvermögen, die Reaktionsfähigkeit und motorischen Fähigkeiten. Studien zeigen, dass gerade bei der älteren Bevölkerung das Medium Internet an Relevanz gewinnt.
Menschen mit Behinderungen wird der Alltag z. B. durch Rollstuhlrampen oder auf niedriger Höhe angebrachter Türöffnungen erleichtert. Damit blinde, sehbehinderte, körperlich eingeschränkte und ältere Menschen das Internet einfacher nutzen können gibt es unterschiedliche Hilfsmittel. Dazu gehören unter Anderem spezielle Tastaturen, Mäuse, Umfeldsteuerung, Vergrößerungssysteme und Screenreader. Es gibt z. B. spezielle Kopfmäuse, die über den Kopf gesteuert werden und spezielle Mundmäuse, die die Bedienung über den Mund ermöglichen. Für die Umfeldsteuerung gibt es die Möglichkeit der Augensteuerung, Infrarotsteuerung oder Sprachsteuerung.
Auf die Frage welche Websites barrierefrei sein sollten, gibt es eigentlich nur eine Antwort: „Im Prinzip alle!“ In vielen Lebenslagen ist das Internet eine Unterstützung und Vereinfachung. Auch in irgendeiner Form behinderte oder beeinträchtigte Menschen möchten z. B. die Vorteile des Online-Shoppings nutzen, Bankgeschäfte online tätigen, sich im Internet informieren oder sich in Social Networks mit Freunden unterhalten und austauschen.
Prinzipien und Richtlinien
Für die Gestaltung einer barrierefreien Website gibt es spezielle Richtlinien und Institutionen. Zum einen gibt es die WAI – Web Accessibility Initative, eine Teilorganisation des W3C, die sich mit dem Bereich Barrierefreies Internet/Accessibility befasst und Richtlinien erarbeitet. Des Weiteren gibt es in Deutschland die BITV – Barrierefreie Informationstechnik Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik nach dem Behinderten-gleichstellungsgesetz die für Internetauftritte und -angebote der Behörden der Bundesverwaltung gilt.
Die wichtigsten Richtlinien sind die WCAG – Web Content Accessibility Guidelines. Die WCAG stellen Richtlinien zur barrierefreien Gestaltung von in HTML und anderen in Mark-Up-Sprachen erstellten Websites dar. Die aktuelle Version 2.0 gliedert sich in 4 Prinzipien, die sich in 12 Richtlinien und 61 Erfolgskriterien aufteilen. Die 4 Prinzipien stellen die Grundlage der Barrierefreiheit dar und lauten:
Prinzip 1: Wahrnehmbar – Informationen und Bestandteile der Benutzerschnittstelle müssen den Benutzern so präsentiert werden, dass diese sie wahrnehmen können.
Prinzip 2: Bedienbar – Bestandteile der Benutzerschnittstelle und Navigation müssen bedienbar sei
Prinzip 3: Verständlich – Informationen und Bedienung der Benutzerschnittstelle müssen verständlich sein.
Prinzip 4: Robust – Inhalte müssen robust genug sein, damit sie zuverlässig von einer großen Auswahl an Benutzeragenten einschließlich assistierender Techniken interpretiert werden können.
Die 12 Richtlinien stellen die wesentlichen Ziele dar. Zudem werden für die unterschiedlichen Richtlinien testbare Erfolgskriterien zur Verfügung gestellt. Für die Erfolgskriterien wurden drei Stufen der Konformität definiert A-AAA, wobei A die niedrigste und AAA die höchste Stufe darstellt.
Beispiele aus der Praxis
Im Folgenden werden zwei Beispiele von Websites dargestellt die zeigen, auf welche Barrieren Menschen stoßen, die visuell eingeschränkt sind:
Im ersten Beispiel der Website blume2000.de wurden keine alternativen Texte hinterlegt. Ein Besucher, der die Websiteinhalte über einen Screenreader ausgeben lässt, hat dadurch keine Möglichkeit mehr über die Produkte – in diesem Fall Blumensträuße – zu erfahren.
Unter dem Prinzip Wahrnehmbarkeit befindet sich die Richtlinie 1.1 „Textalternativen – alternativer Text bei Bildern“. Dies ist z. B. wichtig, da Menschen mit Sehbehinderungen sich die Website von Screenreadern vorlesen lassen. Würde dem Bild kein alt-Attribut mitgegeben werden, so kann der Screenreader nichts vorlesen und ein Nutzer erhält keine Information darüber, was sich auf der Website befindet. Zudem sollten nicht alle alt-Attribute den gleichen Inhalt haben, da eine Unterscheidung der Bilder hierdurch nicht möglich ist, wie folgendes Beispiel zeigt:
Zwar wurden hier alle Bilder mit alt-Attributen gefüllt, allerdings haben alle Bilder dasselbe alt-Attribut „Blumenstrauss“. Eine Unterscheidung ist somit nicht möglich.
Eine sinnvolle Benennung alternativer Texte erleichtert die Nutzung von Websites und sollte eigentlich der Standard sein, zumal Suchmaschinen Bild-Informationen ebenfalls nur über die mitgelieferten Alternativtexte erhalten.
Einige wichtige Checkpunkte, die Entwickler oder Redakteure beachten sollten, die auch aus SEO-Sicht von Vorteil sind:
- Bereitstellung von Textalternativen (bei Grafiken: Bildinhalte beschreiben)
- sinnvolle H-Tag Auszeichnungen (logisch und hierarchisch)
- tastaturgesteuerte Bedienung der Website ermöglichen
- sinnvolle Links setzen: Anzahl der Links auf einer Seite reduzieren, zu den Linkzielen passende Anchortexte bieten, weiterführende Links bereitstellen
- Valide Programmierung
- Angabe der Sprache im Head zur Verbesserung der Sprachausgabe durch den Screenreader
Auszeichnungen für barrierefrei gestaltete Websites
Seit 2003 gibt es die BIENE-Institution, eine Zusammenarbeit der Aktion Mensch und Stiftung Digitale Chancen, welche jährlich barrierefreie Websites auszeichnet. Das Bewertungsverfahren ist ziemlich aufwendig, mehrstufig und orientiert sich an den Prinzipien Verständlichkeit, Wahrnehmbarkeit, Bedienbarkeit, Orientierung, nachhaltige Nutzbarkeit, inhaltliche Relevanz und Integration sowie das Design und die Gestaltung. Bisher haben bereits über 2.000 Unternehmen teilgenommen. Unter den Gewinnern sind z. B. Postbank Online-Banking, Jobbörse Arbeitsagentur, FH Elstal, Pfizer, Polizei NRW etc.
Tools
Um die Website auf Validität und Accessibility Kriterien zu überprüfen gibt es unterschiedliche Tools, bzw. Add-Ons und Plugins. Dazu gehören z. B.:
- W3C Validator
- Wave Tool (Auswertungstool zur Überprüfung der Seite auf Accessibility)
- Vischeck.com (simuliert verschiedene Arten der Farbenblindheit)
- Web Accessibility Toolbar
- Validom (Validator für (X)HTML- und XML-Dokumente) etc.
Eine Auflistung aller Tools ist auf der Website der W3 Organisation verfügbar: http://www.w3.org/WAI/ER/tools/complete.
Der Nutzen überwiegt
Ein gängiges Vorurteil ist, dass eine barrierefreie Website kein genauso ansprechendes Layout haben kann wie herkömmliche Seiten. Zudem gibt es einige Nachteile, die viele mit Barrierefreiheit assoziieren. Meistens spielt der Kostenfaktor eine große Rolle. Entweder wird eine Agentur beauftragt oder es muss ein erheblicher Schulungsaufwand in die Schulung der Entwickler und der Redakteure gesteckt werden. Zudem kann es sein, dass Redaktionssysteme neu gekauft werden müssen, da häufig alte Systeme veralteten Quellcode produzieren, der für Barrierefreiheit nicht geeignet ist.
Trotzdem ist der Gewinn und Vorteil von Barrierefreiheit wesentlich größer. Ein wesentlicher Punkt ist die Markt- und Reichweitenerhöhung und der Kundengewinn aufgrund einer besseren Benutzbarkeit (Usability Vorteil). Auch der anfängliche Kostenaufwand zahlt sich langfristig aus. Durch die saubere Trennung von Technik und Content kommt es bei zukünftigen Wartungen, Einbau von Erweiterungen oder Ralaunch-Maßnahmen zur Zeit- und Kostenersparnis. Zudem steigert eine barrierefreie Website das Image und hat aus SEO Sicht ebenfalls erhebliche Vorteile.
Wir hoffen, dass das Thema Barrierefreiheit im Internet in naher Zukunft auf mehr Verständnis stößt und mehr Websites eine barrierefreie Gestaltung vorweisen können, um allen den Zugang zu Webinhalten zu ermöglichen und zu vereinfachen.
Finde ja vor allem den Punkt Nutzerbindung entscheidend.
Gerade, wenn man mit Einschränkungen unterwegs ist (ja, auch ein mobiles Endgerät gehört häufig dazu), dann hält man sich eher an Angebote, die man schon kennt, deren Navigation einem vertraut ist und bei denen ich weiß, dass ich sie trotz Einschränkungen bedienen kann. Dann wird auch weniger nach Alternativen gesucht…